Nach der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 13.12.2001 zur Haftung des Zustandsstörers:

Erst in Karlsruhe gewonnen, dann in Mannheim - fast - zerronnen?

Mit einem Beschluss vom 16.2.2000 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Begrenzung der Haftung des Zustandsstörers in der Fachpresse, auch im Altlastenforum, für große Aufmerksamkeit gesorgt. Da die dem BVerfG vorgelegten beiden Entscheidungen nicht verfassungsgemäß und damit nichtig waren, mussten sich die Instanzengerichte hiermit nochmals befassen. In dem sog. Kaninchenfellfall, der beim Verwaltungsgericht Freiburg seinen Ausgang genommen hat , liegt nun erst eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg schon vom Dezember 2001 vor. Sie gibt zu Zweifeln Anlass, ob die Entscheidung des BVerfG tatsächlich wie damals in der Literatur vertreten den Zustandsstörer durchgehend entlasten vermag.

Das BVerfG hatte im Februar 2000 entschieden, dass die Haftung des Zustandsstörers, auch grundsätzlich vor dem Handlungsstörer, durch das Gebot der Verhältnismäßigkeit regelmäßig auf den Verkehrswert - nach Sanierung! - beschränkt ist. Eine Grenze der Sanierungskosten unter dem Verkehrswert sah das Gericht in Fällen der Schadensverursachung durch Dritte oder Naturereignisse, für die der Zustandsstörer nichts kann. Auch ein Grundstück mit einem vom Eigentümer bewohnten Haus kann auch nur geringer belastet werden.

Aber auch Überschreitungen des Verkehrswertes lies das Gericht zu, über die nun zu sprechen ist. Wer das Risiko der Gefahr für das Grundstück bewusst in Kauf genommen hat oder vor den Risikoumständen in fahrlässiger Weise die Augen verschlossen hat, haftet über den Verkehrswert. Die Zumutbarkeit bemisst sich dabei nach dem Grad der Fahrlässigkeit. Der maßgebliche Verkehrswert ergibt sich aus dem belasteten Grundstück. Wenn es aber in rechtlichem oder wirtschaftlichem Zusammenhang mit anderen Grundstücken steht oder mit diesen eine funktionale Einheit bildet, dann können die Verkehrswerte zusammengerechnet werden. Die Obergrenze der Belastung ist dann die Gefährdung der Fortführung des Unternehmens.
Diese Vorgaben des BVerfG spielen auch im Kaninchenfellfall eine Rolle. Denn dort hatte der Zustandsstörer das belastete Grundstück seines Nachbarn in der Zwangs-
versteigerung erworben. Er war schon auf der Grund der Nachbarschaft vor dem Erwerb über entsprechende Lösungsmittelgerüche aus einem Brunnen unterrichtet und hätte nach gerichtlichen Feststellungen bei einem Gang über das Grundstück auch Behältnisse mit verdächtigen lösungsmittelhaltigen Stoffen erkennen können. Außerdem rechnet der
VGH zur Bestimmung der Obergrenze der Sanierungskosten zum belasteten Grundstück die Verkehrswerte weiterer Grundstücke hinzu, die nach dem Urteil des Gerichts ein vor und nach dem Erwerb durch die Klägerin einheitlich genutztes und bebautes Areal gebildet haben und weiterhin bilden.

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse legt der VGH die Kosten zu ¾ der Klägerin und zu ¼ der beklagten Behörde auf. Nach dem Urteil des BVerfG haben die Parteien einen Vergleich geschlossen, nach dem die Klägerin die Sanierungskosten bis zu 2,6 Mio. DM zu tragen hat, obwohl der Verkehrswert des Sanierungsgrundstücks allein nur 1,6 Mio. DM betrug. Da die Sanierungskosten tatsächlich auch über die vereinbarte Grenze von 2,6 Mio. DM liegen konnten und dann die verfassungsgemäße Grenze der Zustandsstörerhaftung eingreifen konnte, erschien die Kostenlast von ¼ für die Behörde gerechtfertigt.

Auch nach der Entscheidung sind für die Altlastenpraxis wesentliche Fragen offen. Zum einen ist nicht erkennbar, wie die möglichen Stufen der Fahrlässigkeit hinsichtlich der Belastung des Grundstücks zu einer Belastung mit den Sanierungskosten über den Verkehrswert hinaus führen. Kann schon eine leichte Fahrlässigkeit zu einer Haftung in
voller Höhe über den Sanierungswert hinaus führen? Oder gilt dies erst bei grober Fahrlässigkeit? Die Unsicherheit bleibt naturgemäß bei der Frage, wie das Gericht ein Verhalten auf dieser Skala der Fahrlässigkeit einstuft. Auch Altlastenklauseln in Verträgen können schon den Vorwurf der Fahrlässigkeit begründen.
Zum anderen ist mit der Entscheidung des VGH die Vorgabe des BVerfG bezüglich des räumlichen Zusammenhangs mehrerer Grundstücke noch nicht verbindlich festgelegt. Es
kann auch weiterhin nicht ausgeschlossen werden, dass auch Grundstücke, die nicht in Nachbarschaft liegen, zusammengerechnet werden können, wenn es um den maßgeblichen Wert für die Grenze der Sanierungskosten geht.