Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Haftung des Zustandsstörers:

Meilensteine oder Stolpersteine?

Von Hellmuth Mohr

Zusammenfassung

Die beiden Urteile vom Februar 2000 haben zwar das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Bodenschutzrecht geklärt und dabei eine grundsätzliche Entlastung des Zustandsstörers aufgezeigt, wenn die Kosten der Sanierung den Verkehrswert übersteigen sollten. Die vom Gericht zugelassenen Ausnahmen einer unbegrenzten Haftung insbesondere bei den Fällen der Kenntnis oder des Kennenkönnens und bei dem Zusammenhang zwischen mehreren Grundstücken eröffnen in der Praxis eine Vielzahl von Haftungsrisiken.

1. Einleitung

Wenn das altlasten spektrum, den Ingenieuren wie den Juristen verpflichtet, wie in Heft 5/2000 geschehen gleich zweimal das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 16.2.2000 darstellen läßt, dann mag der Eindruck entstehen, für das Bodenschutzrecht sei ein Meilenstein aufgestellt worden. Das mag zutreffen, wenn man das Urteil als Sieg des Verf assungsrechts über das "schnöde", nur der Gefahrenabwehr verpflichtete Polizeirecht in der Form des Bodenschutzrechts betrachtet. Läßt man diese mehr rechtsdogmatische Bewertung des Urteils einmal beiseite, dann sieht man, daß auch noch nach dem 16.2.2000 Stolpersteine für Zustandssstörer bestehen. Darauf soll an dieser Stelle ausdrücklich hingewiesen werden. Wer sich mit den Fachleuten des Bodenschutzes in der Umweltverwaltung unterhält, hat nicht den Eindruck, daß dort die Uhren auf Null gestellt worden sind.

2. Das Gerichtsverfahren

Bevor aber davon ausführlicher zu reden ist, noch ein Hinweis auf den Verfahrensablauf der Entscheidungen des BVerfG. Der Kaninchenfellfall dauerte vom ersten Bescheid der Behörde über das Urteil des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs bis zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 6 Jahre und 8 Monate, das Urteil des BVerfG dann nochmals etwa 10 Jahre. Das Gericht stützt seine Entscheidung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dessen Grundlage das Rechtsstaatsprinzip ist. Dieses wiederum gewährt auch den Anspruch auf einen effektiven (!) Rechtsschutz. Das betroffene Unternehmen, eine GmbH & Co KG, mußte also allein wegen des Verfahrens vor dem BVerfG den Grundsätzen eines vorsichtigen Kaufmanns folgend eine Rückstellung in Höhe von 1, 1 Mio DM bilden, was eine Zinsbelastung über 10 Jahre wohl über den gleichen Betrag ergeben mag. Nach dem Urteil des BVerfG waren davon 2/3 unzulässig. Kurz danach hat das gleiche BVerfG das Saarländische Oberlandesgericht gerügt, weil dort ein Verfahren lagerte, das seit 26 Jahren die Gerichte beschäftigt. Bei der Feinanalyse stellt man dann allerdings wieder fest, daß die Zeit im vorliegenden Fall für das betroffene Unternehmen gearbeitet haben dürfte. Denn die Auffassung des jetzigen Vizepräsidenten des BVerfG, dessen 1. Senat auch hier entschieden hat, ergibt sich aus den Literaturnachweisen bei Kobes . Juristerei ist also auch immer eine Frage der beteiligten Personen, was die "Planungssicherheit" bei künftigen Entscheidungen schwierig macht.

3 .Die Stolpersteine

3. 1. Kenntnisse über die Altlast

Hierzu macht das BVerfG folgende Rechtsausführungen : "Eine Kostenbelastung, die den Verkehrswert des sanierten Grundstücks übersteigt, kann allerdings zumutbar sein, wenn der Eigentümer das Risiko der entstandenen Gefahr bewußt in Kauf genommen hat. Ein solcher Fall liegt etwa dann vor, wenn der Eigentümer das Grundstück in Kenntnis von Altlasten, die von früheren Eigentümern oder Nutzungsberechtigten verursacht worden sind, erworben hat oder wenn er es zuläßt, daß das Grundstück in einer risikoreichen Weise genutzt wird, zum Beispiel zum Betrieb einer Deponie oder zur Auskiesung mit anschließender Verfüllung. .... Auch dann, wenn und insoweit Risikoumstände beim Erwerb eines Grundstücks oder bei der Nutzungsgewährung an Dritte zwar erkennbar waren oder im Verlauf der Nutzung hätten erkennbar werden können, der Eigentümer aber in fahrlässiger Weise die Augen davor geschlossen hat, kann dies dazu führen, daß eine Kostenbelastung über die Höhe des Verkehrswertes hinaus zumutbar ist. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit kann der Grad der Fahrlässigkeit erheblich sein. "
Zum Kaninchenfellfall enthält das Urteil folgende Sachverhaltsfeststellungen : "Die Beschwerdeführerin erwarb im Oktober 1982 eine ihrem Grundstück benachbarte Fläche im Wege der Zwangsversteigerung. Auf diesem Grundstück hatte ein Unternehmen bis in das Jahr 1981 Hutstoffe aus Kaninchenfellen hergestellt; dabei waren zur Entfettung der Felle chlorierte Kohlenwasserstoffe (Per- und Trichlorethylen) verwendet worden."
Es gehört nun nicht viel Voraussicht dazu, daß ein solcher Fall zumindest beim heutigen Kenntnisstand über die Umweltrisiken des zur Entfettung verwendetes Mittels von der Verwaltung wieder wie im Ausgangsfall entschieden werden könnte. Denn die Voraussetzungen des Schutzes des guten Glaubens sind im Bodenschutzrecht eng. Verwiesen sei auf die Regelung zur Haftung des Alteigentümers in § 4 Abs. 6 und dessen Wegfall bei Vorliegen des guten Glaubens im Zeitpunkt des eigenen Erwerbs. Wer die schadensverursachenden Sachverhalte kennt, kann sich nicht darauf berufen, daß er die Folgen hieraus nicht kannte . Im Kaninchenfellfall liegen auch ganz typische Geschehensabläufe vor, ähnlich wie bei der Metallverarbeitung oder der chemischen Reinigung von Textilien.

3. 2. Rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen mehreren Grundstücken, funktionaler Zusammenhang

Das BVerfG formuliert zunächst negativ ("Dem Eigentümer ist nicht zumutbar, unbegrenzt für die Sanierung einzustehen, das heißt auch mit Vermögen, das in
keinem rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem sanierungsbedürftigen Grundstück steht") und dann positiv ("Dagegen kann es zumutbar sein, Vermögen zur Sanierung einzusetzen, das zusammen mit dem sanierungsbedürftigen eine funktionale Einheit bildet"). Das Gericht bildet dabei
selbst ein Beispiel ("etwa wenn dieses - das sanierungsbedürftige Grundstück - Bestandteil eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs oder eines sonstigen Unternehmens ist"). Damit eröffnen sich nun vielfältige Ausnahmen zum Grundsatz der Haftungsbeschränkung, von denen nachfolgend noch einige denkbare dargestellt werden sollen.

3. 2. 1. Das belastete Grundstück des Jungunternehmers

Um bei der Bank die notwendigen Darlehensmittel für die Gründung seines Unternehmens zu erhalten, bietet der Jungunternehmer zur Sicherheit die Belastung eines Grundstücks seines Vaters an. Wer wollte an einem wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen belastetem Grundstück und dem Unternehmen zweifeln? Bei späteren Altlasten im unternehmerischen Bereich kann die Haftungssumme deshalb auch zumindest den Belastungswert des Grundstücks erfassen.

3. 2. 2. Das betrieblich genutzte Grundstück im Privatvermögen

Ein Unternehmer vermietet in einem Wohnhaus, das nicht zum Betriebsvermögen seines Unternehmens gehört, sondern zu seinem Privatvermögen, die dort befindlichen Wohnungen an fremde Dritte, teilweise im Bedarfsfall aber auch an Mitarbeiter seines Unternehmens auf Grund sog. Werkmietverträge. Je nach dem Anteil der Mietflächen, die von Mitarbeitern bewohnt werden, besteht ein funktionaler Zusammenhang mit dem Unternehmen, so daß auch eine anteilige Zurechnung des Mietgrundstücks bei einer Sanierung im Unternehmen erfolgen kann.

3. 2. 3. Die Stellplatzbaulast auf dem Privatgrundstück

Ein Handwerker erwirbt ein Betriebsgrundstück in einem neuen Gewerbegebiet, wo er daneben auch sein neues Wohnhaus errichten kann. Wegen der Grenzziehung zwischen gewerblicher und Wohnnutzung im Gewerbegebiet übernimmt er auf seinem Privatgrundstück die für seinen Betrieb notwendigen Stellplätze in Form einer Baulast nach der Landesbauordnung , deren Fläche er auf dem Betriebsgrundstück anders besser nutzen kann.
Auch hier kann dem Betriebsgrundstück der Wert der Stellplätze zur Bemessung der Haftungsgrenze des Zustandsstörers hinzugerechnet werden.

4. Fazit

Die aufgezeigten Beispiele sind bei weitem nicht abschließend. Sie sollen vielmehr nur aufzeigen, welche Vielzahl an Ausnahmefällen möglich ist. Wenn deshalb nach
der Entscheidung des BVerfG zwar die Harmonie zwischen Verfassungs- und Bodenschutzrecht wieder hergestellt worden ist, so gilt für die praktische Arbeit weiterhin der Ratschlag: Vorsoge ist besser als Abhilfe. Es mag wieder Jahre dauern, bis die vom BVerfG angedeuteten Ausnahmen einigermaßen genau in der Rechtsprechung festgelegt worden sind.