Praktische Tipps zum richtigen Umgang mit der beschränkten Zustandsstörerhaftung durch die Bodenschutzbehörde

Die Grundsätze zur Haftung des Zustandsstörers über den Verkehrswert nach Sanierung hinaus sind zwar schon seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.2.2000 geklärt. In der Praxis beschäftigen sich die Verwaltungsrichter aber dennoch immer wieder mit Detailfragen. Die Auswahl des Störers durch die Behörde erfolgt nach Ermessen, wobei die dabei maßgeblichen Gründe im Bescheid darlegt werden müssen. Dies erfordert, dass alle im Zeitpunkt des Erlasses in Betracht kommenden Störer im Bescheid zumindest genannt und die Gründe für die Auswahl eines Störers dargelegt werden. Ein Fehler hierbei kann zwar im Verwaltungs- und - wenn vorgesehen - im Widerspruchsverfahren noch geheilt werden. Im Gerichtsverfahren kann die Behörde die Gründe für ihre Ermessensentscheidung nur noch ergänzen, nicht aber nachholen (§ 114 S. 2 VwGO), wobei die Grenzziehung im Einzelfall nicht immer einfach ist. Ebenso kann später ein zweiter Bescheid mit einer korrekten Ermessensentscheidung ergehen. Allerdings kann ein Mieter oder Pächter als Zustandsstörer die Verzögerung nutzen, um das Vertragsverhältnis und damit seine Haftung zu beenden. Nachfolgend geht es um die Gesichtspunkte für die Störerauswahl (sog. Primärebene: maßgebliche Gesichtspunkte: Beseitigung der Gefahr, Leistungsfähigkeit des Störers), während die erneute Ermessensentscheidung bei der Vollstreckung der Kosten der erfolgten Ersatzvornahme durch die Behörde nach der Sanierung sich nach der materiellen Gerechtigkeit (sog. Sekundärebene: Gebot der gerechten Lastenverteilung, Vorrang für den Verursacher) ausrichtet.


1. Wann besteht für die Behörde Ermittlungsbedarf zum Verkehrswert nach Sanierung?

Das Bundesverfassungsgericht hat 2000 gefordert, dass die Verwaltung über die Höhe der Kostenbelastung des Zustandsstörers entscheiden muss, wenn seine Kostenbelastung wegen der fehlenden Zumutbarkeit aus verfassungsrechtlichen Gründen zu begrenzen ist. Wenn die Gründe hierfür im Zeitpunkt der Sanierungsanordnung noch nicht vollständig bekannt sind, ist in der Sanierungsverfügung ein Vorbehalt für eine getrennte Kostenentscheidung zu machen. Diese Prüfung ist sowohl hinsichtlich der Grenze des Verkehrswertes nach Sanierung für den nicht fahrlässig handenlden Zustandsstörer erforderlich als auch beim nicht geschützten Zustandsstörer und seiner Haftung über den Verkehrswert nach Sanierung hinaus, weil zwar dann auch dessen unbelastete Grundstücke, aber in einem funktionalen und rechtlichen Zusammenhang mit dem belasteten Grundstück bei der Berechnung des Verkehrswertes nach Sanierung hinzugerechnet werden können, aber auch hier die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Zustandsstörers gesichert bleiben muss. Auf die Notwendigkeit einer Abwägung zwischen den schutzwürdigen Eigentümerinteressen und den Belangen der Allgemeinheit (Sanierungspflicht) auch beim zulässigen Überschreiten der Grenze des Verkehrswerts nach Sanierung wegen der fahrlässigen Handlung des Zustandsstörers hat das Thür. OVG, Urt. v. 20.3.2012 – 3 KO 843/07, DVBl 2013, 156, hingewiesen. Dabei ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang es dem Grundstückseigentümer zugemutet werden kann, sein sonstiges Vermögen (Stichwort: funktionaler, rechtlicher Zusammenhang) zur Sanierung in Anspruch zu nehmen. Im vorliegenden Fall wurde der Bescheid wegen dieses Ermessensfehlers aufgehoben. Er betraf zwar das Abfallrecht, für das aber die gleichen Regeln der Haftungsbegrenzung gelten. Weiteres Beispiel für die Zusammenrechnung des Verkehrswerts mehrerer Grundstücke: VG Arnsberg, Urt. v. 18.2.2013 – 8 K780/12, juris: belastetes Grundstück einer früheren Schießanlage als Teil einer größeren funktionalen Einheit (örtlicher Zusammenhang einheitliche Nutzungsmöglichkeit und erkennbare Abgrenzung gegenüber den Nachbargrundstücken). Detailuntersuchung mit ca. 15.000 € Kosten bei einem aktuellen Verkehrswert von 30.000 € unproblematisch, während die Kosten einer nachfolgenden Sanierung wie nachfolgend erläutert erst in einem später nachfolgenden Bescheid hinsichtlich der Belastungsgrenze zu prüfen sind.

In der Praxis kann diese Prüfung nur dann vernachlässigt werden, wenn die Kosten erkennbar nicht den Verkehrswert nach Sanierung erreichen, was insbesondere bei einer Detailuntersuchung wegen des damit regelmäßig verbundenen geringen Kostenaufwands denkbar ist (Beispiele: VG Augsburg, Beschl. v. 26.9.2002 - Au 7 02.918, juris: Detailuntersuchung 25.000 €, Grundstück mit insgesamt 22 Wohneinheiten; VGH München, Urteil vom 28.11.2007 - 22 BV 02.1560, juris: zwar Sanierungskosten in Höhe von 150.000 DM, aber bei einem vorsätzlich handelnden Zustandsstörer mit umfangreichem Waldbesitz im funktionalen Zusammenhang mit dem Altlastengrundstück). Erst später möglicherweise anfallende Kosten für die weitere Sanierung, die in dem Bescheid noch nicht geregelt sind, müssen also nicht berücksichtigt werden. Dagegen werden bereits früher angefallene Kosten aus früheren Bescheiden bei der Prüfung der Belastungsfähigkeit in einem späteren Bescheid hinzugerechnet.


2. Umfang und Grenzen der Ermittlungspflicht der Behörde

Die Grenze der Ermittlungspflicht ergibt sich aus dem Gebot der effizienten Beseitigung der Gefahr. Insbesondere bei einer Detailuntersuchung kann die Behörde deshalb den Zustandsstörer verpflichten, wenn die Haftung eines Handlungsstörers in tatsächlicher Hinsicht mit vertretbarem Aufwand nicht festzustellen ist. Beispiel: OVG Bremen, Beschl. v. 19.8.2003 – 1 A 42/03, NuR 2004, 182: Die Behörde ist nicht verpflichtet, vor Erlass der Untersuchungsanordnung gegenüber einem Zustandsstörer hinsichtlich der in Betracht kommenden Handlungsstörer durch Hinzuziehung von Sachverständigen eigene Recherchen vorzunehmen. Ebenso VGH München, Beschl. v. 18.4.2007 – 22 ZB 07.222, NVwZ-RR 2007, 670: Da die bloße Möglichkeit der Verursachung zur Begründung der Verantwortlichkeit nicht ausreicht, kann auch der Zustandsstörer verpflichtet werden. Die Befragung von Zeitzeugen durch die Behörde brachte keine belastbaren Aussagen. Allerdings muss die Behörde alle möglichen Störer ermitteln. Im Fall des OVG Bremen, Beschl. v. 21.7.2009 - 1 B 89/09, NuR 2009, 798, wurde die Sanierungsanordnung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes deshalb aufgehoben, weil die Behörde neben der Inanspruchnahme der Antragstellerin, Erbin und damit Rechtsnachfolgerin eines geschäftsführenden Gesellschafters einer KG, durch dessen unsachgemäßen Umgang mit Chemikalien die schädliche Bodenveränderung/Altlast verursacht worden war, damit selbst Handlungsstörerin, nicht auch die Verpflichtung der Erbin des zweiten geschäftsführenden Komplementärs geprüft hatte, zumal deren Erbschaft über eine Mio. DM betragen hatte, sodass deren Leistungsfähigkeit offensichtlich war. Allerdings hat das OVG auch die Entscheidung der Behörde gebilligt, im Interesse der Effektivität der Sanierungsmaßnahme nicht auch die Handlungsstörerhaftung einer GmbH & Co. KG als Rechtsnachfolgerin der KG in Erwägung zu ziehen, da die Erfolgsaussichten dieses Vorgehens gering oder zweifelhaft waren. Weiterer Fall eines Ermessensfehlers wegen der unvollständigen Ermittlung möglicher Störer: OVG Berlin - Brandenburg, Urt. v. 24.2.2011 – OVG 11 B 10.09, juris: Fehlende Prüfung der Heranziehung der den Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers übernehmenden Gesellschaft und weiterer Zustandsstörer neben der Klägerin, Fall aus der DDR - Vergangenheit.

Naturgemäß entzündet sich der Streit im Verwaltungsverfahren angesichts der geschilderten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an der Bestimmung des Verkehrswerts nach der Sanierung und an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Sanierungspflichtigen bei einer möglichen Kostenbelastung über diese Grenze hinaus.

Für die Bestimmung des Verkehrswerts nach Sanierung genügt ein Verkehrswertgutachten des Gutachterausschusses, nicht aber lediglich eine Ermittlung anhand von Bodenrichtwerten und einer möglichen Korrektur durch pauschale Zu- oder Abschläge (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 6.2.2013 – 5 B 839/12, DVBl 2013, 657). Das Gericht weist auch darauf hin, dass die voraussichtlichen Sanierungskosten im Hinblick auf die Grenze des Verkehrswertes nach Sanierung verlässlich ermittelt werden müssen und dabei die Besonderheiten des Sanierungsgrundstücks, hier: untertägige Luftschutzstollenanlage, berücksichtigt werden müssen.

Bei einer nur teilweisen Sanierung eines Grundstücks in einem ersten Schritt kann sich die Berechnung des Verkehrswertes nach Sanierung nur auf den Wert des Grundstücks nach Abschluss dieser Teilsanierung beziehen, nicht aber den höheren Verkehrswert nach Sanierung nach einer vollständigen Sanierung, die erst möglicherweise in weiteren Verfügungen erfolgen wird, VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 8.3.2013 – 10 S 1190/09, VBlBW 13, 455. Für den Teilaushub als erste Sanierungsmaßnahme fielen Kosten in Höhe von ca. 1,3 Mio. € an, während der Verkehrswert nach Teilsanierung nur 1,02 Mio. € und erst nach einer später möglichen Vollsanierung 1,32 Mio. € betragen sollte. Da die Klägerin mangels einschlägiger Kenntnisse schutzwürdig war, war der Bescheid rechtswidrig. Auch in diesem Falle hatte das Gericht Bedenken gegen eine Ermittlung des Verkehrswertes nach Sanierung lediglich auf der Grundlage einer Wertannahme durch den Bürgermeister, zumal mit einer Bandbreite zwischen 2,2 und 2,5 Mio. €. Im Verfahren wurde der Wert allerdings in zulässiger Weise noch durch einen vereidigten Sachverständigen zur Ermittlung des Wertausgleichs nach § 25 BBodSchG auf die oben angegebenen Zahlen korrigiert.

Nach dem Beschluss des VG Lüneburg von 15.4.2011 – 2 B 4/11, juris, kann sich die Behörde hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei der Überschreitung der Grenze des Verkehrswerts nach Sanierung auf äußerlich erkennbare Indizien stützen, ohne im Regelfall zu umständlichen Ermittlungen zur wirtschaftlichen Lage des Störers verpflichtet zu sein (hier: Unternehmen mit 40 Mitarbeitern und einem größeren Maschinen- und Fuhrpark). Der Sanierungspflichtige muss demgegenüber seine wirtschaftliche Lage konkret darlegen und kann nicht wie in diesem Fall lediglich pauschal auf größere Kreditverpflichtungen verweisen. Im Fall des VG Minden, Urt. v. 12.9.2011 – 11 K 3124/09, juris, lies es das Gericht ebenfalls in einem Fall der Haftung über den Verkehrswert nach Sanierung hinaus infolge Fahrlässigkeit genügen, dass die Klägerin, Gesellschaft zur Verwaltung eines umfangreichen Immobilienbesitzes, neben dem Sanierungsgrundstück nach dem vom Gericht besorgten Grundbuchauszug als Eigentümerin einer Anzahl von weiteren Immobilien eingetragen war, die durch den Gesellschaftszweck eine funktionale Einheit bildeten, und einer gerichtlichen Aufforderung, eine Übersicht aller Immobilien unter Angabe von Lage, Größe und Art der Bebauung dem Gericht vorzulegen, innerhalb der gesetzten Frist nicht nachgekommen war. Der geforderte Sanierungsaufwand betrug einschließlich früherer Untersuchungsmaßnahmen ca. 130.000 € bei einem Grundstückswert nur des belasteten Grundstücks nach der Bodenrichtwertkarte von ca. 123.000 €. Auf diese Weise kann auch die Bodenschutzbehörde vorgehen.

Dr. Hellmuth Mohr, Rechtsanwalt, Stuttgart