Bauplanungsrecht: der Bebauungsplan - das unbekannte Wesen

Auch wer den Vorteil hat, dass seine Tageszeitung auch Mitteilungsblatt seiner Gemeinde ist, wird wohl nur in den seltensten Fällen den Veröffentlichungen der
Gemeinde in Bebauungsplanverfahren seine Aufmerksamkeit schenken, insbesondere wenn keine aktuellen Bauabsichten bestehen. Und der Bezug eines gesonderten gemeindlichen Mitteilungsblattes ist in aller Regel nur in kleinen Gemeinden üblich. So spielen sich in der Lebenswirklichkeit die Veröffentlichungen zur Aufstellung von Bebauungsplänen und die Beratungen in dem Ausschuss und im Gemeinderat regelmäßig vor einem ganz kleinen Publikum der unmittelbar beruflich Betroffenen ab. Hierin liegt ein Risiko für alle Grundstückseigentümer, was sich in dem folgenden Fall, den die Rechtsprechung entschieden hat, zeigt.

Eine Eigentümergemeinschaft hatte eine landwirtschaftliche Hofstelle mit 2,85 ha, die jetzt aber nur noch zu Wohnzwecken genutzt wurde. Die Gemeinde stellte einen Bebauungsplan auf, der die Schaffung eines Ortsteils mit 2600 Einwohnern vorsah, die mit preisgünstigem Wohnraum versorgt werden sollten. Das betroffene Grundstück lag nach der neuen Planung in einem Gebiet mit Flächen für den Gemeingebrauch nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB, weil dort eine Schule und ein Kindergarten entstehen sollten. In den freien Flächen des Anwesens waren ein Teich und Flächen mit Bäumen und Sträuchern vorgesehen.
Das Risiko für die Eigentümer ist offensichtlich. Auf der Grundlage der Festsetzungen im Bebauungsplan kann eine Enteignung erfolgen. Auch ist eine weitere bauliche Entwicklung auf dem Grundstück nicht mehr möglich, die im Widerspruch zu den Bestimmungen des Bebauungsplanes steht.

Nun wird man entgegnen können, dass man sich gegen solche Planungen der Ge-meinde immer noch vor Gericht wehren kann. Das ist im Grunde richtig, über die Einzelheiten wird noch zu sprechen sein. Aber dass es besser gewesen wäre, sich gleich im Bebauungsplanverfahren energisch gegen solche Planungsabsichten der Gemeinde zu wehren, zeigt der Ablauf des Gerichtsverfahrens. Auf einen Bebauungsplan aus dem Jahr 1995 erging die Entscheidung des Bundesverwaltungsge richts im Sommer 2002, das den Eigentümern aus noch dazulegenden Gründen zunächst Recht gegeben hatte. Zuvor waren die Eigentümer aber in der ersten Instanz vor dem Verwaltungsgerichtshof unterlegen. Er hatte keine Bedenken gegen den Bebauungsplan. Außerdem muss natürlich vor dem Irrtum gewarnt werden, dass der Sieg vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Sieg auf Dauer ist.
Die Gemeinde weiß nun, welchen Fehler sie bei der Aufstellung des Plans gemacht hat und kann diesen nun leicht in einem zweiten Aufstellungsverfahren heilen und dann doch zum gewünschten Ergebnis kommen.

Was hat also im vorliegenden Fall zum Scheitern des Planes geführt? Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 6.6.2002 gibt einen guten Einblick in den Rechtsschutz in Bebauungsplanverfahren. Im vorliegenden Fall ist das Eigentum der Erbengemeinschaft durch die Planungsabsichten der Gemeinde betroffen. Das Eigentum ist im Grundgesetz selbst, aber auch durch das Gebot der Verhältnismäßigkeit geschützt, das wiederum durch den Grundsatz des Rechtsstaates gewährleistet ist. Die Verhältnismäßigkeit gebietet u.a. einen Eingriff mit dem mildesten Mittel zur Erreichung des geplanten Zieles. Im vorliegenden Plan hat die Gemeinde in den Unterlagen zur Planaufstellung nicht dargelegt, dass gleich geeignete Flächen in ihrem eigenen Eigentum vorhanden sind. Öffentliches Eigentum der Gemeinde ist aber schon deshalb weniger schutzwürdig als das private der Eigentümergemeinschaft, weil der Eigentumsschutz des Grundgesetzes nicht öffentliches Eigentum erfasst. Das Grundgesetz schützt den Freiheitsbereich des Bürgers gegen Eingriffe des Staates, nicht aber den Staat und sein Eigentum selbst gegen sein eigenes Handeln.

 

Das Bundesverwaltungsgericht ist aber eine reine Rechtsinstanz, die sich nicht mehr mit tatsächlichen Feststellungen beschäftigt. Ihm hat es deshalb für den Erfolg der Revision ausgereicht, dass in den Unterlagen der Gemeinde und des Klageverfahrens an keiner Stelle eine Aussage darüber getroffen wurde, ob gleich geeignete gemeindliche Grundstücke zur Verfügung ständen. Die Entscheidung der Vorinstanz hatte deshalb beim Bundesverwaltungsgericht schon deshalb keinen Bestand, weil es von dem Grundsatz ausgegangen war, dass die Gemeinde lediglich dann ein eigenes Grundstück für die Planungsziele einsetzen müsste, wenn dieses hierfür besser (!) geeignet sei. Dies ist aber im Hinblick auf den erläuterten geringeren Eigentumsschutz des Grundgesetzes für öffentliches Eigentum nicht richtig. Diese tatsächliche Frage des Vorhandenseins gleich geeigneter gemeindlicher Grundstücke konnte das Bundesverwaltungsgericht aus Gründen seiner eingeschränkten Nachprüfungsmöglichkeiten nicht entscheiden.
Deshalb hat es das Verfahren zur Überprüfung dieser Frage wieder an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Der Sieg der Eigentümer ist also möglicherweise nur ein Etappensieg, wenn der Gemeinde noch der Nachweis gelingen sollte, dass ein eigenes Grundstück mit diesen Voraussetzungen nicht vorhanden ist.
Schon dieses Zusammenspiel von materiellen und formellen Voraussetzungen für einen Klageerfolg zeigt auf, dass eine Klage gegen einen Bebauungsplan immer ein Spiel mit Risiko ist. Auch wenn es der betroffene Bürger trotzdem auf eine Klage ankommen lassen will, dann ist dabei aktives Handeln erforderlich. Denn bei der Planungsentscheidung kann die Gemeinde ohne nachteilige Rechtsfolgen all die Sachverhalte bei ihrer Entscheidung über den Inhalt des Bebauungsplanes übersehen, die für sie nicht ohne weiteres erkennbar sind. Im vorliegenden Fall ist der drohende Eigentumsverlust offensichtlich. Hierauf hätten die Eigentümer deshalb nicht hinweisen müssen. Wenn sie aber neue und intensivere Nutzugsabsichten für ihr Gebäude gehabt hätten, dann wäre eine Unterrichtung der Gemeinde notwendig gewesen.

Die Überprüfung der Planungsentscheidung einer Gemeinde in der ersten Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht ist ein reichlich abstrakter Vorgang, dessen Grundzüge deshalb nur kurz dargestellt werden können. Grundsätzlich hat die Gemeinde als Trägerin der Planungsfreiheit einen großen Entscheidungsspielraum, wenn sie nicht vorrangige Planungen etwa auf Landesebene oder Planungen anderer Gemeinden, die auch ihr Gemeindegebiet berühren, mißachtet.

Die für die Planung maßgeblichen Belange muss die Gemeinde in folgenden Schritten ermitteln: Zunächst sind alle maßgeblichen Gesichtspunkte unabhängig von ihrer Bedeutung im Einzelfall zu ermitteln (Zusammenstellung des Abwägungsmaterials). Im vorliegenden Fall gehören hierzu auch die Folgen der Planung für das Eigentum an der Hofstelle. Die Frage nach dem möglicherweise gleich geeigneten öffentlichen Grundstück ist hier aber nicht beantwortet worden. Bei diesem Schritt ist auch der oben genannte Grundsatz zur Beschaffung von Informationen zu beachten, nach dem auch der Bürger mitwirken muss. In der zweiten Phase sind dann die tatsächlich abwägungserheblichen Belange
auszuwählen. Hier wird das für die Entscheidung maßgebliche Tatsachenmaterial zusammengestellt. Auch hierbei bleibt im vorliegenden Fall die Auswirkung auf das Eigentum zu beachten. In der dritten Phase müssen die Belange tatsächlich und rechtlich bewertet werden. Hierbei ist im vorliegenden Fall der Fehler durch die Gemeinde erfolgt, den auch das Oberverwaltungsgericht übersehen hat. In der vierten Phase folgt dann die planerische Entscheidung durch den Gemeinderat nach einer Vorberatung in einem gemeindlichen Ausschuss. Wenn dieser Ablauf sachgerecht erfolgt ist, dann prüfen die Gerichte die eigentliche planerische Entscheidung nicht nach, da dies die Teilung der Gewalten zwischen Verwaltung und Justiz mißachten würde.

Die Freiheit bei der eigentlichen planerischen Entscheidung wird nicht nur durch die formale Überprüfung dieses Abwägungsvorgangs durch die Gerichte eingeschränkt. Auch die Regelungen des BauGB zu den möglichen Inhalten eines Bebauungsplans in § 9 unterliegen der gerichtlichen Kontrolle. Wenn also im vorliegenden Fall Flächen für den Gemeinbedarf geschaffen werden sollen, dann prüfen die Gerichte dies uneingeschränkt nach. Nur bei der Frage, ob die Planung so wirklich am besten umgesetzt wird und ob es nicht noch andere, ebenfalls geeignet Varianten gäbe, halten sich die Gerichte zurück. Das Bundesverwaltungsgericht weist deshalb auch darauf hin, dass sich der Inhalt des Bebauungsplans nicht an den Eigentumsverhältnissen auszurichten habe. Konkret kann die Gemeinde also die Frage der Schaffung von Flächen für den Gemeingebrauch nicht davon abhängig machen, ob gemeindeeigene Flächen vorhanden sind. Erst, wenn sie die planerische Entscheidung getroffen hat, dass für den vorgesehenen neuen Ortsteil eine solche Fläche - im vorliegenden Fall sicherlich sinnvollerweise - notwendig ist, muss sie prüfen, auf welcher konkreten Fläche diese Funktion durchgeführt werden soll.
Im vorliegenden Fall könnten auf solchen Flächen für den Gemeinbedarf neben dem geplanten Kindergarten und der Schule auch Kirchen, öffentliche Verwaltungsgebäude, öffentliche Hallenbäder, Markthallen, Altenheime, Krankenhäuser, Theater- und Feuerwehrgebäude usw. errichtet werden. Eine private Trägerschaft, etwa bei einem Altenheim denkbar, wäre hierbei unschädlich.

Zuletzt muss dem sicherlich durch die Menge der Rechtfragen verwirrten Leser natürlich die Frage beantwortet werden, ob man sich immer ein solches Gerichtsverfahren mit Zeit- und Geldaufwand zumuten muss, um zu seinem Recht zu kommen. Die Antwort lautet erfreulicherweise nein. Allerdings muss man die richtigen Zeitungen bzw. Mitteilungsblätter an der richtigen Stelle lesen und dann auch mal zu einer Sitzung des Gemeinderates gehen. Die Vorberatung eines Bebauungsplanes erfolgt in nichtöffentlicher Sitzung, aber zu Beginn einer späteren Sitzung müssen im öffentlichen Teil die zuvor nichtöffentlich erfolgten Beratungen zumindest bekannt gegeben werden. Darauf ist zu achten. Außerdem sieht das BauGB die Beteiligung der Bürger in zwei Schritten vor. Eine vorgezogene Bürgerbeteiligung und dann die öffentliche Auslegung, wobei Anregungen vorgebracht werden können. Hier ist der erste Hebel anzusetzen, um unliebsame Überraschungen wie im vorliegenden Fall zu vermeiden.